Robert Klatt
Wissenschaftler haben erstmals untersucht, welche Auswirkungen Plastikmüll auf das Leben in der Tiefsee hat.
München (Deutschland). Laut einer Studie des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung werden in Deutschland nur 15,6 Prozent der Plastikabfälle recycelt. Die in Entwicklungs- und Schwellenländern noch geringere Recyclingquote führt unter anderem dazu, dass Plastik die Meere verschmutzt, dort gigantische Müllstrudel bildet und sogar den Mariengraben und andere Tiefseeregionen belastet.
Wissenschaftler der Universität Xiamen und der Staatlichen Naturwissenschaftliche Sammlungen Bayerns (SNSB) haben nun erstmals untersucht, welche Folgen der Plastikmüll auf die Tiefsee-Fauna und die Artenvielfalt hat. Laut der Publikation in den Environmental Science & Technology Letters fokussiert sich die Studie auf Tiefseegräben der Xisha-Inseln im Südchinesischen Meer.
Mithilfe eines Tauchboots nahmen die Forscher im ersten Schritt dazu 30 Müllproben aus der Tiefsee, die im Labor dann auf ihre Polymerzusammensetzung untersucht wurden. Anschließend analysierten die Wissenschaftler die auf dem Müll lebende Fauna und die Organismengruppen durch bildgebenden Methoden wie die Mikro-Computertomographische (Micro-CT) dreidimensionale Rekonstruktionen sowie durch modernsten molekularbiologischen Verfahren.
Sie fanden dabei heraus, dass in den bis zu 3.200 Meter tiefen Gräben der Xisha-Inseln etwa 52.000 Plastikteile pro Quadratkilometer vorkommen. Dies ist eine höhere Plastikmenge als in den meisten zuvor untersuchten Tiefseegräben, liegt aber noch deutlich unter dem Rekord am Meeresboden vor Korsika. Die vor China gesammelten Proben bestanden hauptsächlich aus den Kunststoffen Polyethylen (PE), Polyethylenterephthalat (PET), Polyvinylchlorid (PVC) und Polypropylen (PP).
Auf den kleinen Plastikteilchen konnte das Team um Xikun Song fast 1.200 Organismen aus fast 50 verschiedenen Arten nachweisen, darunter viele festsitzende Tiere wie Korallen, Pilze und Seepocken die den Müll offensichtlich als Lebensraum nutzen. Überdies fanden die Wissenschaftler frei lebende parasitische Flachwürmer und Schnecken, die sich im Müll aufhielten. Am häufigsten wurden festsitzenden Polypen, Armfüßer (Brachiopoden) und noch nicht ausgewachsene Schalentiere gefunden.
Bernhard Ruthensteiner, Zoologische Staatssammlung München (ZSM): „Auffallend häufig waren Reproduktionsstadien wie Schneckeneier oder die Bildungsstadien von Quallen.“
Die Studie zeigt, dass der Plastikmüll in den Tiefseegräben zur Entwicklung eines artenreichen Ökosystems geführt hat, das als „Hotspot der Biodiversität“ bezeichnet werden kann.
Bernhard Ruthensteiner: „Die Formenfülle aber auch die Individuendichte auf einzelnen Stücken hat uns überrascht.“
Laut den Ergebnissen fördern die untermeerischen Müllansammlungen demnach die Ausbreitung vieler Meeresorganismen und können dadurch zu Veränderungen in Meeresökosystemen führen. Um die Auswirkungen zu untersuchen, wollen die Wissenschaftler in Zukunft den Plastikmüll in weiteren Tiefseegräben untersuchen.
Environmental Science & Technology Letters, doi: 10.1021/acs.estlett.0c00967