Robert Klatt
Der pazifische Müllstrudel ist zu einem neuen Lebensraum für Küstenbewohner und Hochseetiere geworden. Die dort vorkommenden Lebensgemeinschaften gab es in der Natur zuvor nicht.
Edgewater (U.S.A.). In den Weltmeeren befinden sich große Müllstrudel, die künstliche „Inseln“ aus Plastik bilden. Diese werden durch die starken Meeresströmungen im Kreis bewegt, bis sie an den Küsten angeschwemmt werden oder in die Tiefsee absinken. Wie eine Studie kürzlich zeigte, führt das der Plastikmüll in den Tiefseegräben zu einer höheren Biodiversität. Wissenschaftler des Smithsonian Environmental Research Center (SERC) haben nun herausgefunden, dass das im Meer treibende Plastik auch eigentlichen Küstenbewohnern als neuer Lebensraum dient.
Erste Indizien dafür gab es bereits 2011, als ein Tsunami in Japan große Mengen an Abfall ins Meer schwemmte. Ein Teil davon wurde nach Jahren an der amerikanischen Westküste angespielt. Mit dabei waren auch 300 Tierarten von der Ostseite des Pazifiks, die offenbar mit dem Müll die lange Strecke durch den Ozean überquerten.
Wissenschaftler um Linsey Haram vom SERC haben deshalb in Kooperation mit dem Ocean Voyages Institute den pazifischen Müllstrudel genauer untersucht. Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature Communications sammelten die Wissenschaftler dazu 103 Tonnen Müll aus dem Pazifik. Anschließend untersuchten die Wissenschaftler, welche Tiere diesen Abfall besiedelten.
Zu den gefundenen Arten gehören unter anderem Hydrozoa, Anemonen oder Flohkrebsen, die sonst nur in unmittelbarer Küstennähe vorkommen. Es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern um vermehrungsfreudige Kolonien, die offenbar einen neuen Lebensraum erobert hatten.
„Der offene Ozean war bisher für Küstenorganismen nicht bewohnbar. Zum Teil wegen der Einschränkungen des Lebensraums – früher gab es dort kein Plastik – und zum Teil, so dachten wir, weil er eine Nahrungswüste ist“, erklärt Greg Ruiz vom Marine Invasions Lab.
Diese Annahme wurde nun durch die Studie widerlegt. Wieso dies der Fall ist, konnten die Biologen bisher jedoch noch nicht klären. Denkbar ist es, dass der Müll regelmäßig durch Gebiete driftet, die biologisch produktiver sind. Alternativ könnte der Kunststoff auch ein künstliches Riff bilden, das die Grundlage für verschiedene Nahrungsquellen schafft und dadurch andere Tierarten anlockt.
Neben den Küstentieren fanden die Wissenschaftler im Müllstrudel auch Hochseetiere, darunter Krabben und Muschelarten. Der Müllstrudel hat damit ein völlig neues Ökosystem erschaffen, dessen Lebensgemeinschaften es in der Umwelt bisher nicht gab. Dies birgt laut den Forschern möglicherweise neue Gefahren.
„Die Ankunft neuer Küstenbewohner könnte Ökosysteme im Meer stören, die seit Jahrtausenden ungestört geblieben sind. Die Küstenarten stehen in direkter Konkurrenz zu den ozeanischen Floßbewohnern. Sie konkurrieren um Platz. Sie konkurrieren um Ressourcen. Und diese Wechselwirkungen sind nur sehr schlecht verstanden“, erklären die Autoren.
Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-021-27188-6