Robert Klatt
In fast allen deutschen Seen leben Bakterien mit Resistenzgenen gegen gängige Antibiotika. Auch Resistenzen gegen Reserve-Antibiotika sind in der Umwelt bereits weitverbreitet.
Marburg (Deutschland). In Europa sterben etwa 33.000 Menschen pro an Infektionen mit multiresistenten Bakterien, die sich mit Medikamenten nicht behandeln lassen. Die Anzahl der Bakterien mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Antibiotika nimmt stetig zu. Inzwischen wurden die gefährlichen Krankheitserreger, die ihre Resistenzmechanismen von anderen Bakterienarten erhalten oder selbst entwickeln, bereits an vielen Orten, darunter sogar Waschmaschinen, entdeckt.
Wissenschaftler der Philipps-Universität Marburg haben nun untersucht, wie weit die resistenten Keime in europäischen Gewässern verbreitet hat. „Eigentlich wird das Abwasser vor dem Einleiten in die Gewässer gereinigt und daher sollten Krankheitserreger selten oder gar nicht mehr darin enthalten sein. Aber mehrere Studien haben schon das Gegenteil gezeigt: Pathogene sind im eingeleiteten Abwasser noch immer nachweisbar und gelangen so in Seen und Flüsse“, erklärt Sebastian Spänig.
Die Verbreitung von resistenten Keimen in Europas Seen wurde bisher nur stichprobenartige untersucht. Bei der nun im Fachmagazin Environment International publizierten Studie handelt es sich laut den Autoren demnach um die erste systematische Untersuchung in einem großen Maßstab. „Wir geben in unserer Studie zum ersten Mal einen umfassenden Überblick über die aktuelle Situation in Europa“, erklärt Jens Boenigk. Untersucht wurden dafür standardisierte Wasserproben von 274 Seen aus 13 europäischen Ländern.
Gefunden wurden genetische Spuren resistenter Bakterien in nahezu allen analysierten Wasserproben, darunter auch in fast allen Proben aus Deutschland. „Gene, die für Resistenzen gegen Tetracycline, Cephalosporine und Quinolone kodieren, wurden besonders häufig identifiziert“, erklären die Wissenschaftler. Oft nachgewiesen wurden außerdem Resistenzgene gegen Sulfonamide, die häufig in der Tiermedizin verabreicht werden.
Wie die Wissenschaftler erklären, wurden auch Resistenzgene gegen Quinolone und Cephalosporine entdeckt. Dies ist besonders problematisch, weil es sich dabei um sogenannte Reserve-Antibiotika handelt, die erst als letzte Möglichkeit zur Behandlung von multiresistenten Keimen verwendet werden. „Die aktuellen Werte sollten als deutliches Warnsignal in der Infektionsbekämpfung verstanden werden“, erklärt Dominik Heider.
Ein Großteil der entdeckten Bakterien enthält zwar die Resistenzgene, sind aber für den Menschen harmlos. „Nach aktuellem Stand bedeuten diese Resistenz-Werte keine unmittelbare Gefahr. Allerdings können die Keime für Personen mit geschwächter Immunabwehr oder Vorerkrankungen bedrohlich werden“, so Heider.
Deutlich bedenklicher als die unmittelbare Gefahr durch eine Infektion beim Schwimmen ist demnach die weite Verbreitung von Resistenzgene in der Umwelt. Diese können dadurch auch von gefährlichen Krankheitserregern praktisch überall kopiert werden.
Environment International, doi: 10.1016/j.envint.2021.106821