Robert Klatt
An vielen europäischen Küsten nimmt das Risiko für Überschwemmungen durch den Klimawandel deutlich zu. Verantwortlich dafür ist nicht nur der höhere Meeresspiegel.
Liverpool (England). Die Wissenschaft hat bereits anhand verschiedener Studien belegt, dass der Klimawandel zu einem Anstieg des Meeresspiegels führt und dadurch Überschwemmungen wahrscheinlicher macht. Ob der Klimawandel auch dazu führt, dass Sturmfluten häufiger auftreten, wurde bisher kaum untersucht. Forscher um Francisco Calafat vom National Oceanography Centre haben deshalb Meeresspiegelmessungen von 79 Messstationen an der europäischen Atlantik- und Nordseeküste aus den Jahren 1960 bis 2018 analysiert.
Laut ihrer Publikation im Fachmagazin Nature konzentrierten sie sich dabei auf Extremereignisse mit hohen Wasserständen. Anschließend kombinierten sie diese Daten mit statistischen Modellrechnungen, um zu ermitteln, wie sich Sturmfluten entwickelt haben und welchen Einfluss der Mensch auf diese Ereignisse hat.
„Wie erfolgreich Küstenschutzmaßnahmen sind, hängt von einem soliden Verständnis dafür ab, wie sich Klimaveränderungen auf die Wahrscheinlichkeit extremer Meeresspiegelereignisse auswirken. Dabei spielen zum einen Änderungen der Sturmstärke eine Rolle, die sich auf das Auftreten von Sturmfluten auswirken, und zum anderen Änderungen des mittleren Meeresspiegels, die das Ausgangsniveau für Sturmfluten erhöhen oder senken“, erklären die Wissenschaftler. Bisher publizierte Studien konnten jedoch noch nicht belegen, wie groß der Einfluss von Sturmfluten ist. Dies liegt daran, dass ihre Datenbasis zu klein war, weil sie meist nur einzelne Standorte untersucht haben.
Die Wissenschaftler konnten so ermitteln, dass extreme Wasserstände an den europäischen Küsten seit 1960 deutlich häufiger auftreten. Der Trend der Überschwemmungen folgt dem Anstieg des Meeresspiegels in diesem Zeitraum. Im Gegensatz zu anderen Studien zeigt die aktuelle Publikation, dass neben dem gestiegenen Meeresspiegel auch Veränderungen bei Sturmfluten die Anzahl der Überschwemmungen signifikant beeinflussen. Laut den Messdaten und der Modellrechnungen dehnen sich die nordatlantischen Stürme weiter nach Osten aus. Dadurch steigt das Risiko für Sturmfluten und Überschwemmungen im nördlichen Mitteleuropa und in Großbritannien. In Südeuropa ist der Trend gegenläufig.
Zudem ermittelten die Forscher mithilfe von Klimamodellen, ob der Mensch die beobachteten und prognostizierten Veränderungen beeinflusst oder ob diese durch die natürliche Klimavariabilität ausgelöst werden. Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, dass interne Variabilität, die etwa durch die Wechselwirkungen zwischen der Atmosphäre und Ozeanen verändert wird, einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Sturmfluten hat. Die menschlichen Aktivitäten verstärken diese Effekte jedoch.
Beide Einflussfaktoren zusammen sorgen somit dafür, dass sich das Auftreten von Sturmfluten räumlich verschiebt. „Wird dieser Faktor ignoriert, kann das dazu führen, dass Hochwasserschutzanlagen vorzeitig versagen – mit katastrophalen Folgen“, erklären die Autoren. Sie empfehlen deshalb, die aktuellen Küstenschutzmaßnahmen zu überdenken und sie an die neuen Erkenntnisse anzupassen.
Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04426-5