Robert Klatt
Karten mit Kollisions-Hotspots sollen bei der Planung von „vogelfreundlichen“ Windkraftanlagen helfen.
Norwich (England). Die Nutzung der Windkraft stellt die Menschheit vor ein echtes Dilemma. Einerseits sterben durch Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen Vögel und Fledermäuse, andererseits werden die Anlagen für die Energiewende und die Abkehr von fossilen Brennstoffen dringend benötigt. Wissenschaftler der University of East Anglia haben deshalb untersucht, wo in Europa und Nordafrika das Risiko für Vogelkollisionen am geringsten ist.
Die Karten der Kollisions-Hotspots basieren laut der Publikation im Journal of Applied Ecology auf GPS-Daten von 27 Vogelarten. Diese ermöglichen es den Wissenschaftler zu sehen, wo besonders viele Vögel in kollisionsträchtigen Höhen fliegen. Betroffen sind vor allem Routen, die zu den Winter- oder Brutgebieten der Tiere führen.
Diese Daten kombinierte das Team um Jethro Gauld mit den Standorten von Windparks und den Verlauf von Hochspannungsleitungen, um die konkrete Gefahr für Vögel zu ermitteln. Als potenziell gefährlich gelten in der Studie Stromtrassen mit einer Höhe von zehn bis 60 Metern und Windanlagen mit einer Höhe von 15 bis 135 Metern. Zudem flossen in die Studie weitere Faktoren wie die Sehfähigkeit, Wendigkeit und das Körpergewicht der Vogelarten ein.
Die gefahrenträchtigsten Gebiete für Vogel in Europa und Nordafrika verlaufen laut der Karten der Kollisions-Hotspots entlang des Vogelzugs an den Küsten, aber auch quer über den Kontinent. „Zu den Hotspots der Vogeldichte gehören die Mittelmeerküste Frankreichs und Südspaniens, der Osten Rumäniens, die Küsten Marokkos und des Sinai sowie die deutsche Ostseeküste“, berichten Gauld und seine Kollegen. In diesen Gebieten sind demnach zumindest zeitweise besonders viele Vögel in den potenziell gefährlichen Flughöhen unterwegs. „In diesen Gebieten sollte daher die Installation neuer Windanlagen oder Hochspannungsleitungen minimiert werden, um die Integrität dieser Flugrouten zu bewahren“, erklären die Autoren.
In den Brutgebieten ist das Risiko hingegen deutlich geringer. Dies liegt laut den Autoren daran, dass die Flugaktivität der Vögel in der Brutsaison kleiner ist. Außerdem erklären sie, dass weniger exakte Trackingdaten für diese Gebiete vorliegen.
Die Gefahrenzonen liegen demnach primär entlang der Vogelzugrouten in Gebieten mit vielen Windanlagen oder Hochspannungsleitungen. „Diese Gefahrenzonen sind nicht gleichmäßig im Studiengebiet verteilt: Nur fünf Länder machen zusammen 50,5 Prozent der Hochrisikoflächen aus“, erklären die Forscher. Neben Deutschland sind dies Spanien, Frankreich, die Türkei und Polen.
„Die hohe Kollisionsgefahr in Mitteleuropa lässt sich primär auf die hohe Dichte von Windturbinen zurückführen. Allein Deutschland umfasst 55,2 Prozent aller Gitternetzzellen mit hohem Risiko durch Windturbinen“, so die Autoren. In der Türkei und Frankreich ist das Risiko hingegen hoch, weil die Vogelzugrouten dort Engstellen haben, in denen viele Vögel sich parallel bewegen.
Laut den Forschern können die neuen Karten bei der Planung weiterer Windanlagen und Stromtrassen helfen. „Unsere Karten können zeigen, wo neue Windparks und Stromleitungen besser nicht gebaut werden sollten“, so Gauld. Außerdem zeigen die Karten, wo bei bereits bestehenden Anlagen der Vogelschutz ausgebaut werden sollte.
Dies kann etwa durch Fähnchen und Markierungen erfolgen, die das Kollisionsrisiko verringern. „Bei Windanlagen könnten man Rotoren markieren, sie auf dem Höhepunkt der Zugzeit vorübergehend stilllegen oder auch viele kleine Windräder durch wenige große ersetzen“, erklären die Forscher. Es wäre so möglich, die Energiewende durchzuführen und gleichzeitig Schäden an der Biodiversität zu minimieren.
Journal of Applied Ecology, doi: 10.1111/1365-2664.14160